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Jugend-Reha-Expertin fordert mehr Aufmerksamkeit bei ME/CFS

Die Kinder- und Jugendfachärztin Beate Biesenbach macht im Vorfeld des internationalen ME/CFS-Tages am 12. Mai auf die Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen aufmerksam. Es wäre wichtig, dass auch die Pädiatrie postvirale Erkrankungen wie das Post Covid Syndrom oder ME/CFS mehr ins Blickfeld rücken würde, betonte die stellvertretende ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendreha-Zentrums "kokon" (Rohrbach/Oberösterreich) im APA-Interview.

Aktivierende Reha: Bei Belastunsgintoleranz PEM schädlich
Aktivierende Reha: Bei Belastunsgintoleranz PEM schädlich

Biesenbach betreut vor allem seit Beginn der Pandemie Kinder und Jugendliche nach Infektionen mit dem Corona-Virus, aber auch Betroffene nach anderen Infektionen wie dem Epstein-Barr-Virus, Varizellen (Feuchtblattern bzw. Windpocken oder Gürtelrose) sowie Influenza. Post-akute Infektionssyndrome (PAIS) seien auch im Jugendalter "ganz klar ein Thema", so die Ärztin.

"Im Rehasetting sehen wir gerade die komplexe Gruppe mit schwerer Belastungsintoleranz inklusive PEM häufiger. Oft gehen dem Aufenthalt lange Schulfehlzeiten ohne klare Ursache voraus", sagte Biesenbach. "PEM bedeutet Post Exertional Malaise und beschreibt die Situation, dass es nach physischer/kognitiver Aktivität oft etwas zeitverzögert sowohl zu einer Verstärkung der bestehenden Symptomen als auch zum Auftreten neuer Symptome kommt", so Biesenbach zur APA. "Dies kann sich über Tage, Wochen und im schlimmsten Fall als Dauerzustand etablieren und ist somit mit der Gefahr eines schlechteres Outcomes bzw. verzögerter Rekonvaleszenz assoziiert."

Die Ärztin warnt davor, diese Untergruppe mit aktivierenden Rehabilitationsmaßnahmen zu behandeln. Auch Betroffenenorganisationen machen immer wieder auf diese Problematik aufmerksam. Auch betonten vermehrt Experten die möglichen Folgeschäden derartiger Behandlungsversuche, zuletzt etwa im APA-Gespräch der Psychiater und Chefarzt des Psychosozialen Dienstes der Stadt Wien, Georg Psota. Angeraten wird den Betroffenen stattdessen "Pacing" - das Einhaltung der individuellen Belastungsgrenzen.

"Die individuelle Leistungsschwelle wiederholt zu überschreiten - also Aktivierung statt Pacing - ist klar kontraindiziert und zudem redundant, weil es die betroffenen Familien und Jugendlichen zumeist bereits über Wochen probiert haben, bevor sie zu uns in die Reha kommen", so Biesenbach. Rein aktivierende Therapien, die oft empfohlen werden - etwa "abgestufte Bewegungstherapie" (GET) oder "Kognitive Verhaltenstherapie" (CBT) - seien Ansätze, die den Familien bereits vor der Aufnahme oftmals empfohlen und dann auch so umgesetzt wurden. Biesenbach nannte etwa Empfehlungen wie "jeden Tag länger Spazieren gehen" oder die Kinder bzw. Jugendlichen "weiterhin jeden Tag in die Schule zu schicken". Das führe bei einem Teil jedoch nicht zu Verbesserung, sondern "genau zum Gegenteil", nämlich zu einer Verschlechterung.

Erstmals beobachtet haben man dieses Phänomen im Rehabilitationszentrum "kokon" bei Jugendlichen aus dem semiprofessionellen Leistungssport. Diese hätten berichtet, "dass sie sich nach Wiederaufnahme von oft nur leichtem, langsam ansteigendem Training nicht nur nicht verbessert sondern stattdessen verschlechtert haben". "Gerade für uns als Rehaklinik bedeutete dies einen neuen anti-intuitiven Ansatz", so Biesenbach.

Im "kokon" wurden bisher mehr als 150 junge Post-Covid bzw. ME/CFS Betroffene betreut. "Dabei sehen wir Jugendliche, die ihren Schulalltag zwar noch irgendwie aufrechterhalten können, aber das restliche soziale Leben (Hobbies, Freunde) auf ein Minimum reduzieren mussten - bis hin zu den am schwersten Betroffenen, die nach der Anreise jeden Transfer, jede Interaktion einteilen müssen". Selbst die Rehabilitation habe in diesen Fällen wieder abgebrochen werden müssen, "um eine weitere Verschlechterung zu vermeiden".

Gerade das posturale Tachykardiesyndrom (POTS) - bei dem es in aufrechter Haltung zu einem übermäßigen Pulsanstieg und Symptomen wie Kreislaufproblemen, Herzrasen, Herzklopfen, aber auch Übelkeit, Schwindel, Atemproblematik oder Konzentrationsproblemen kommen kann - sei pädiatrisch "noch zu wenig im Fokus". "Das ist extrem schade, weil bereits konservative Maßnahmen den Alltag oft sehr effektiv verbessern können." Neuropädiatrisch gibt es im Gegensatz zu Erwachsenen noch keine Zentren für autonome Störungen, so die Expertin.

Auch die Fehlzuordnung als rein psychische Erkrankungen nannte Biesenbach einmal mehr als Problem. Im "kokon" betreue man immer in Zusammenarbeit mit Psychologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie nach dem bio-psycho-sozialen Konzept. "Die positive Perspektive, also der bestehende Antrieb, zurück in den Alltag zu wollen und dies auch immer wieder zu versuchen, unterscheidet die Betroffenen klar von anderen rein psychischen Erkrankungsbildern", betonte sie. Die Familie und das Umfeld (etwa Schule) müssten daher gut informiert werden, wiederholte Biesenbach ihre bereits zuvor wiederholt geäußerte Expertise.

Die betroffenen Kinder und Jugendliche kämen oft bereits mit der Zuweisungsdiagnose "Verdacht auf Post Covid" ins "kokon". Die Schwierigkeit zur Abgrenzung gegenüber psychischen Erkrankungen skizzierte Biesenbach anhand der Symptome: "Regelmäßig sehen wir Panikattacken oder Hyperventilation in der Anamnese." Dies lasse sich dann oft diagnostisch "mit einem POTS im Schellong-Test erklären".

Auch wies Biesenbach auf mögliche Komorbiditäten wie das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), das Ehlers-Danlos-Syndrom (mit Hypermobilität einhergehend) oder die sogenannte Small Fiber Neuropathie (SFN) hin. "Die nicht immunologische Mastzellaktivierung ist klar ein wichtiger Punkt in der Diagnostik und Therapieansatz, diesbezüglich arbeiten wir mit Professorin Eva Untersmayr-Elsenhuber zusammen, die an der MedUni Wien zum Thema gastroenterologische Immunologie forscht. Auch das sorgfältige Screening auf Hypermobilität hat allein durch vermehrte Awareness darauf in Zusammenarbeit mit der Humangenetik Graz bei einem Teil der Patienten zur Diagnosestellung eines hypermobilen Ehlers-Danlos geführt." Dies bedeute sowohl aus physiotherapeutischer, diätologischer Sicht als auch im Sinne des Schmerzmanagements "einen wesentlichen Unterschied". Inwieweit die Small Fiber Neuropathie bereits im Jugendalter einen Rolle spielt, versuche man im "kokon" aktuell herauszufinden. "Wirkliche Referenzdaten gibt es dazu erst für junge Erwachsene ab 20 Jahren."

Die von der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) Mitte April abgehaltene "Konsensuskonferenz" zum Thema ME/CFS, die zwar noch keine konkreten Ergebnissen gebracht hatte, sieht Biesenbach positiv: "Allein das Thema aufzugreifen zeigt die Relevanz im klinischen Alltag." Der von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) angestoßenen Nationalen Aktionsplan "postvirale Erkrankungen", der vor zwei Wochen gestartet wurde, sei "eine positive Headline, der hoffentlich konkrete Schritte folgen werden".

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