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Reals Magie bezwingt Bayern: "Kann nichts Schlimmeres geben"

Das dramatische Champions-League-Aus des FC Bayern hat am Mittwoch in Madrid gleich mehrere Geschichten geschrieben. Jene vom tragischen Helden Manuel Neuer etwa, dazu die vom höchst umstrittenen abrupten Abpfiff Augenblicke vor dem vermeintlichen Ausgleich. Oder jene des Madrider Jokers und Doppeltorschützen Joselu. Und mitten drin mit Konrad Laimer ein Österreicher. "Ich glaube, es kann nichts Schlimmeres geben für einen Fußballer", sagte der ÖFB-Teamkicker.

Bis zur 88. Minute waren die Bayern nach dem 2:2 aus dem Hinspiel 1:0 in Führung gelegen und mit eineinhalb Beinen im Finale der Königsklasse gestanden. Dann aber kam die "Magie" des Rekordtitelträgers ebenso ins Spiel wie Joselu: 34 Jahre, gebürtiger Stuttgarter mit spanischem Pass, Real-Fan seit Kindheitstagen und Real-Spieler seit vergangenem Sommer. Sieben Minuten nach seiner Einwechslung traf Joselu erstmals, weitere drei Minuten später versenkte er den deutschen Rekordmeister und sicherte den Spaniern das Finale am 1. Juni in Wembley gegen Borussia Dortmund.

Ein Wandervogel, der nirgends sesshaft wurde, in den letzten zehn Jahren für zehn verschiedene Vereine spielte, sich aber weder in der Premier League noch in der Bundesliga durchsetzen konnte. Der für Hoffenheim, Frankfurt und Hannover auflief und im Sommer von Absteiger Espanyol Barcelona nach Madrid ausgeliehen wurde. Am Mittwoch schlug seine große Stunde.

In der CL absolvierte Joselu nur rund ein Viertel aller möglichen Spielminuten, in La Liga immerhin die Hälfte. "Er ist ein Spieler, der in dieser Saison viel beigetragen hat, obwohl er nicht viel gespielt hat", lobte Real-Coach Carlo Ancelotti den Matchwinner. "Er ist das perfekte Sinnbild für diese Mannschaft: Spieler, die viel beitragen, ohne ihr Selbstvertrauen zu verlieren (wenn sie nicht spielen), und die Idee, dass sie dem Team etwas bringen können."

Dass sein Team nach dem 0:1 durch Alphonso Davies (68.) auf derart dramatische Art und Weise noch die Wende schaffte, konnte sich selbst die italienische Trainerlegende, die ihren fünften CL-Triumph anpeilt, nicht ganz erklären. "Es ist wieder passiert ... und weil es so oft passiert ist, ist es ein bisschen unerklärbar", betonte Ancelotti, der dann doch einige Punkte anführte: "Es ist wieder passiert, dank der Fans, die uns pushen, einer fantastischen Atmosphäre im Stadion und dank Spielern, die nie aufhören, daran zu glauben, es schaffen zu können. Es ist etwas Magisches."

Diese Magie bekam auch Laimer "am eigenen Leib" zu spüren. "Man weiß, was Real Madrid kann. Man weiß und hat es schon oftmals gesehen, dass die am Ende Tore schießen können", erklärte der Salzburger bei Servus TV. "Dass die auch große individuelle Qualität haben und dass die immer wollen, hat man gesehen. Am Ende kommt so etwas nur, wenn man unbedingt gewinnen will. Das kommt nicht von irgendwoher, das ist einfach Madrid, und das ist deren große Stärke." Oder in den Worten von Real-Stürmer Vinicius Junior: "Das ist Real Madrid. Wir geben nie auf."

Die Bayern nahmen vor allem Wut, Frust und Leere aus dem Bernabeu mit. "Wir sind einfach sauer, wir haben alles da draußen gelassen", klagte der nach einer titellosen Saison scheidende Trainer Thomas Tuchel mit feuchten Augen. Vor allem bei seiner Wutrede gegenüber dem Schiedsrichtergespann rang der 50-Jährige um Fassung. Schiri Szymon Marciniak hatte in der 104. Minute zu früh abgepfiffen, als der Ball in Reals Strafraum flog und der Assistent an der Seitenlinie die Fahne hochriss. So konnte nach de Ligts Schuss ins Tor die Szene nicht mehr per Videobeweis überprüft werden. Marciniak entschuldigte sich nach dem Schlusspfiff bei den Bayern, wie de Ligt aufgebracht berichtete.

"Natürlich nehmen wir die Entschuldigung als Sportsmänner an", sagte Tuchel: "Aber es ist ein Halbfinale. Es ist nicht der Moment für Entschuldigungen, ehrlich nicht." Dann redete sich der um ein Bayern-Happy-End gebrachte Coach in Rage. "Alle müssen ans Limit. Alle müssen leiden. Alle müssen fehlerfrei spielen. Da müssen halt die Schiedsrichter auf diesem Niveau das auch tun", sagte er mit sich fast überschlagender Stimme.

Experten wie der frühere Schweizer Spitzenschiedsrichter Urs Meier gaben ihm recht. "Eine Szene kann wieder alles kaputt machen - aber das Schiedsrichterteam hat das nicht gut gemacht. Das ist sicher nicht die Linie, die die UEFA oder die FIFA will. Bei den knappen Dingen soll man laufen lassen. Und dann kann man das immer noch anschauen, wenn es auf die andere Seite gekippt ist", sagt Meier dem Schweizer Streamingdienst blue sport.

Der große Verlierer des Abends war aber Neuer mit seinem Fehler vor dem 0:1. Den Schuss von Vinicius Junior schätzte er falsch ein und ließ ihn nach vorn auf Torschütze Joselu abprallen. "Von 10.000 Mal hält Manu den Ball 10.000 Mal. Das ist das 10.001. Mal", meinte Tuchel. Er fühlte mit dem 38-jährigen DFB-Teamgoalie, der sich nach seinem Beinbruch bei einem Skiunfall nach der WM 2022 nach einer monatelangen Reha ins Tor zurückgekämpft hatte. Er war bis zum 1:1 Reals Albtraum an diesem Abend.

"Das ist ausgeschlossen, dass Manu einen Fehler macht. Und er macht ihn ausgerechnet heute nach dem Weltklassespiel. Das ist so was von bitter", sagte Tuchel. Neuer selbst gestand seinen Fehler ein. "Ich muss sagen, dass ich den Ball anders erwartet habe, eher Richtung Brustkorb. Der ist dann einen Tick höher gegangen, und damit habe ich nicht gerechnet, dass da ein minimaler Maulwurf drin war in dem Platz", sagte Neuer.

Die Bayern übten sich danach in Kampfansagen. "Wir haben nächstes Jahr das Champions-League-Finale zu Hause. Das ist jetzt unser großes Ziel. Das ist letzten Endes das, was wir als unseren Mia san mia-Reflex bezeichnen. Das sollte uns leiten", verkündete Vorstandschef Jan-Christian Dreesen. Vorher müssen die Bayern-Bosse um Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund nach etlichen Trainer-Absagen aber als Erstes einen Nachfolger für Tuchel präsentieren.

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